Lieber Herr Blaser,
na das wird ja wieder ein Zwiegespräch zwischen uns - diesmal mit dem Unterschied, dass wir uns nicht mailen, sondern das schön 'netzöffentlich' dokumentiert ist. Die dualisierenden und realistischen Philosophen sind wohl alle auf Urlaub, scheuen die Registrierung oder haben einfach nichts zu diskutieren. Also diskutieren wir, bis es uns nicht mehr freut
.
Zu den beiden Problemen, die Sie angesprochen haben (der Nicht-Objektivierbarkeit einer Empfindung wie Schmerz und der Frage nach dem 'Ich' als 'Instanz') eine Geschichte:
Meine kleine Tochter ist zwölf Monate alt. Heute vormittag besuchte ich mit ihr eine innen recht dunkle neugotische Kirche, in der nur die Glasmalereien auf den Fenstern bunt leuchten. Mit offenem Mund, wie gebannt, starrte meine kleine Tochter auf die Fensterreihe. Das sind die Momente, in denen mir die dualistische Intuition/Evidenz/wie auch immer sagt:
Da muss etwas sein - etwas Sprachverschiedenes, also etwas von
meinen Beschreibungen Verschiedenes, das auch meine Tochter sieht (deren Lautrepertoire im Moment noch Blasen mit dem Mund, Lallen mit der Zunge u. Ä. ist) und von dem sie fasziniert ist. Also das "kaleidoskopartige Fließen", die "Welt in ihren Formen und Farben", wie es Whorf sagt (und Mitterer kritisiert).
Das ist das Jenseits der Sprache!
Im nächsten Moment meldet sich der am Dualismus Zweifelnde, also der Nondualist in mir: Was ist gerade passiert? - Ich sehe bunt leuchtende Rosettenfenster und beobachte
dann, wie meine Tochter gebannt darauf starrt. Daraus schließe ich - wieder in meinen Gedanken: Mein Baby ist von diesen Fenstern ganz fasziniert. Der Dualismus kommt nun in die Welt, wenn ich etwa behaupte: "Dass mein Baby wie gebannt auf diese Fenster starrt, liegt daran, dass auch es etwas wahrnimmt, obwohl es noch nicht die menschliche Sprache spricht, nämlich das leuchtende Bunt der Rosettenfenster. Meine sprachliche Beschreibung kommt, um mit Siegfried J. Schmidt zu sprechen,
danach, nach dem Ereignis, in diesem Falle nach dem Anstarren des Fensters durch mein Baby, sie ist eine Setzung, die zur Voraussetzung eine Beobachtung einer Handlung bzw. eine Handlung hat." Der Dualismus manifestiert sich auch in Gedanken wie: "Ich denke jetzt gerade in Sprache über mein Baby nach, aber davon völlig unabhängig und prioritär war/ist die Wahrnehmung meines Babies." Es wird also immer getrennt: die Welt (der Wahrnehmungsgegenstände und Wahrnehmungen) und das Wissen über die Welt ("neugotische Rosettenfenster", Beschreibungen wie "Mein Baby sieht..." usw.).
Diesen Dualismus attackiert nun Mitterer im "Jenseits der Philosophie", indem er darauf hinweist, dass ich all die oben angeführten Unterscheidungen wiederum nur im Rahmen von (weiteren) Beschreibungen machen kann (die in diesem Fall etwa bereits die /Rosettenfenster/, das /Baby/ u. a. als Basiskonsense zur Voraussetzung haben). Ich beschreibe etwa mein Baby weiter; oder ich beschreibe mein Denken weiter und die Wahrnehmung meines Babies usw. Ich kann aber in jedem Fall die Unterscheidung zwischen der Welt mit ihren Objekten und meinem Denken der Welt oder dem Denken des Babies immer erst
in meinem Denken und
nach einem Denkinhalt von mir machen.
Das müsste die Physiker interessieren, und wir könnten daraus auch ein neues, radikaleres linguistisches Relativitätsprinzip stricken:
Was der Fall ist (physikalisch, chemisch,...), ist das bereits Beschriebene, und die Trennung von physikalischem Ereignis und physikalischem Ereignis der Beschreibung des physikalischen Ereignisses ist immer erst nach der Beschreibung möglich.Folgt daraus, wie Sie es andeuten, der Solipsismus (hier im Sinne von: die Welt ist meine Beschreibung)? Nein, würde Mitterer antworten. Der Solipsismus ist, wie er mir einmal in einer Tonbandaufzeichnung gesagt hat, ein typisches Problem des Dualismus. Im Nondualismus folgt aus dem oben Skizzierten nämlich etwas ganz anderes, viel Teuflischeres: Auch "ich" oder "Du", Dein Bewusstsein, Deine Gedanken, mein Bewusstsein, meine Gedanken usw. sind im Nondualismus nichts anderes als Objekte für Beschreibungen, also Beschreibungen
so far. Ich denke, da würden Sie widersprechen, oder?
Was passiert, wenn ein Mensch die Sprache lernt? Beginnen dann im Nondualismus Beschreibungen zu beschreiben? Das wäre erneut eine dualistische Verkürzung. Aber spätestens hier sind wir ein Fall fürs Zenkloster.
Mein Fazit nach jahrelangem intensiven Nachdenken ist: Intuitiv spricht vieles, wenn nicht alles für den Dualismus. Aber der Nondualismus ist so geschickt gestrickt, dass er nicht so leicht widerlegbar ist.
LG
sw