Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?




In diesem Forum sollen die zentralen Ideen der Philosophie Josef Mitterers, der "Nicht-dualisierenden Redeweise", kritisch diskutiert werden. Themen werden unter anderem sein: Mitterers neue Notation der Ausführungszeichen (/.../) zusätzlich zu den Anführungszeichen ("..."), seine Unterscheidung von Beschreibung so far und Beschreibung from now on, seine Konzepte der Objektangabe und der Rudimentärbeschreibung, seine Kritik an "'p' ist wahr, wenn p", sein Abschied von der Wahrheit, sein neuer Empiriebegriff (Weitergehen auf eine neue These anstelle des Scheiterns am Objekt), seine Kritik des Konstruktivismus (insbesondere Maturana und Roth), seine Kritik des Relativismus (insbesondere Whorf, Winch, Quine, Kuhn, später Wittgenstein) u. a.

Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon sw23 » 17. Juli 2011, 16:22

Ludwig Wittgenstein rang neben vielen anderen mit dem Problem von Beschreibung und Gegenstand, von Sprache und Wirklichkeit. Der österreichische Philosoph Josef Mitterer hat einige Jahrzehnte nach Wittgenstein ein radikal neues Denkmodell vorgeschlagen, das bislang noch kaum diskutiert wurde. Die Ausgangsfrage ist: Wie können wir uns sicher sein, dass die Welt unabhängig von unseren Beschreibungen existiert, wenn ebendies eine Beschreibung (der Welt) ist? Die Antwort Mitterers lautet: "Auch das zu Beschreibende, das Objekt der Beschreibung, ist bereits eine, nämlich die vorliegende Beschreibung." (Mitterer: Das Jenseits der Philosophie, These 17) Diese Denklogik torpediert die spätestens seit Russell und Tarski bewährte sprachphilosophische Unterscheidung von (in der Regel sprachverschiedenen) Objekten, Objektsprache und Metasprache.

Wie wird die Unterscheidung zwischen den Dingen und unserem Sprechen über sie eingeführt? Etwa, indem wir behaupten: "Der Tisch ist aus Holz, aber die Beschreibung 'Der Tisch ist aus Holz' ist nicht aus Holz." (Nach Mitterer: Die Flucht aus der Beliebigkeit, These 140) Oder: "Der Tisch ist aus Holz, aber 'der Tisch' sind zwei Wörter." Mitterer denkt nun radikal zu Ende, was es heißt, dass solche und viele ähnliche Unterscheidungen nur sprachbegabten Menschen möglich sind. War gar nicht die Wirklichkeit, die reale Welt, kategorial der Sprache vorgängig, sondern ist die sprachverschiedene Welt eine Idee, eine Illusion, eine Hervorbringung im Sprechen - und die Welt dann eine Art "Beschreibungskontinuum", in dessen Rahmen dann etwa auch die Existenz einer materiellen Welt, der Anfang mit einem Urknall u. v. a. als Teil eines "Diskurspluriversums" behauptet werden kann? Das würde die Linguistik, die biologische Evolutionstheorie und die Kosmologie auf den Kopf stellen, deren aktueller Wissensstand ist: Die menschliche Sprache ist vielleicht 40.000 bis 100.000 Jahre alt, die Welt aber ca. 14 Milliarden Jahre. Damit war die Welt vor der Sprache da, und die Sprache erst gestattet einen Rückblick in diese prioritäre Welt. - Wer anderes behauptet, müsste demnach ein pseudowissenschaftlicher Scharlatan sein. Oder?
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Re: Ist an Mitterers Idee etwas dran?

Beitragvon fofner » 18. Juli 2011, 09:26

Ich glaube, die Frage, ob die Welt unabhängig von der Sprache existiert oder nicht, ist ein Rückfall
in die alte Philosophie, der durch die nondualisierende Redeweise vermieden werden soll. Es geht
eher darum, dass wir uns bei Diskussionen über Auffassungsunterschiede nicht auf eine sprachunabhängige
Welt berufen können, um unsere Auffassung zu "beweisen". Möchte man über Auffassungsunterschiede
diskutieren, so braucht man eine nichtdualisierende Verbindung zwischen Sprache und Erfahrung(sproduktion).
Diese Richtung würde ich als Weiterentwicklung des Nondualismus vorschlagen. Ontologische Fragen
sollten wir vergessen.
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Re: Ist an Mitterers Idee etwas dran?

Beitragvon sw23 » 18. Juli 2011, 10:11

Lieber Herr Ofner,

danke für den mutigen Schritt des ersten Diskussionsbeitrags ;-) (der gelöschte war ein Testbeitrag, ob alles klappt).

Zur Sache: Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese "klassischen" Fragen so schnell überwinden bzw. ad acta legen können oder möchten. Man muss zunächst mal die Hauptfrage nach dem "Zusammenhang" von Sprache und Welt ausdifferenzieren:

(1) Gäbe es die Welt (in irgend einer anderen Gestalt) auch, wenn sich die menschliche Sprache nicht entwickelt hätte? Diese Frage scheint auf einen Widerspruch hinauszulaufen, denn um sie überhaupt stellen zu können oder zu versuchen, sich eine "Welt ohne Sprache" auch nur ansatzhalber vorzustellen, brauchen wir (menschliche) Sprache. - Wenn wir das aber konsequent zu Ende denken, landen wir schon in einem anderen "Weltbild", das sich vom Alltagsrealismus stark unterscheidet.

(2) Gibt es die Welt unabhängig von der Sprache? Ich denke, das ist eine der kniffligen Fragen, und Mitterers Bemühen ist, wie Sie zurecht schreiben, diese Frage aufzulösen, indem wir eine - wie auch immer geartete - Einheit von Welt und Sprache, von Objekt und Beschreibung postulieren, wobei dann ebendies selbst die Beschreibung einer Einheit wäre (und damit wäre diese Einheit ein Objekt für weitere Beschreibungen...).

(3) Gibt es die Welt verschieden von der Sprache? Hier neigen wir wohl zur alltagsrealistischen Antwort: Ja, das durch die menschlichen Sinne Erfasste ist Voraussetzung und Basis für das Sprechen, insofern muss das - womöglich immer kategorial - unterschieden werden. Mitterer gibt ja auch hier eine ganz andere Antwort, und es fällt zugegebenermaßen mir immer noch schwer, den real gefühlten Bauchschmerz als Einheit von Beschreibung und Objekt zu denken. Das Problem erinnert ein wenig an Thomas Nagels Fledermaus-Aufsatz, in dem er sinngemäß schreibt, unanzweifelbar sei, dass auch andere Organismen Empfindungen haben...

(4) Gab es die Welt vor der Sprache? (Sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch!) Auch eine der kniffligen Fragen. Ich habe diesen Punkt im Eingangsstatement erwähnt: Die biologische Evolutionstheorie unterrichtet uns, dass die menschliche Sprache viel jünger als die Welt ist. Wir würden auch bei jedem Baby sagen, dass es in den ersten ca. zwölf Monaten seines Lebens in einer Welt vor der Sprache lebt. Mitterer kritisiert genau das im "Jenseits der Philosophie", was bislang kaum einmal erkannt oder ernst genommen wurde. Er schreibt, er wende sich gegen folgende Position: "Eine ungeordnete Welt, ein Chaos, ein Fluß der Dinge wird vorausgesetzt. In diese noch außersprachlich vorausgesetzte Welt greift nun der Mensch mit der Sprache ein und ordnet sie." (These 4) Mit Mitterer müssten wir indes die Konsequenz ziehen, dass auch Bakterien, Dinosaurier und Babies Beschreibungen so far für weitere Beschreibungen 'sind' (wie "ich selbst")... Und da tue nicht nur ich mir sehr schwer, obwohl Mitterers Denkmodell so einfach nicht zu widerlegen ist.

LG
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Re: Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon Samuel Blaser » 19. Juli 2011, 19:40

Hallo beisammen und danke für die Einladung in dieses Forum!

Eine grundsätzliche Frage könnte sein:

Ist z.B. Schmerz punkto seiner Interpretation auch sprachabhängig? Ist es eine Frage von sprachbedingten Wertungen, ob ich die Empfindung 'Schmerz' als schlimm oder geil (Peitsche...) erfahre.

Ich würde letztlich sagen ja. Der Bauchschmerz ist zwar kein Wort im Bauch, das mir dort weh tut, sondern eine Empfindung, und doch ist das Erfahren von Schmerz abhängig von der aktuellen sprachlichen Tiefenverortung in mir. Die sitzt aber so tief in der sprachlich bedingten Identifikation mit dem Körper, dass z.B. ein Wille, jetzt neuerdings Schmerz beim Zahnarzt als positiv anzusehen, nicht unbedingt ausreicht, damit es nicht mehr weh tut. Denn dann ist der Gedanke 'ich bin der Körper, der theoretisch Schmerzen haben kann, die weh tun' noch nicht aus der Welt, sondern konstituiert diese immer noch, nur halt 'umgekehrt gewünscht'. Mit dem blossen Negieren ändert man die Sprachwelt eben nicht schon, sondern das Grundsetting bleibt, wird nur mit einem anderen Vorzeichen versetzt.

Womit angedeutet ist, dass das Thema Identifizierung-Sprache-Welt sehr in die Tiefe gehen kann, und ich mich selbst da noch nicht so als Tiefseefisch sehe. Schnappe eher ab und zu noch oben Luft....


Freundliche Grüsse

Samuel
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Re: Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon sw23 » 19. Juli 2011, 20:33

Lieber Sam Blaser,

ich freue mich sehr von Ihnen zu hören, denn Ihnen traue ich zu, dass wir endlich die Nuss knacken, die Rätsel der Welt lösen, um dann ganz entspannt nur noch das Leben genießen zu können (aber das wäre eh eine Negativutopie, denn was täten wir ohne unsere philosophischen Probleme, die unser Hirn so schön beschäftigen ;-)).

Bevor ich auf Ihr wichtiges Beispiel mit der Sprachimprägniertheit/-determiniertheit (?) von Schmerz eingehen möchte, habe ich eine Bitte an Sie: Könnten Sie ev. meine vier, mich schon längere Zeit beschäftigenden Fragen, die ich oben aufgelistet habe, aus Ihrer Sicht zu beantworten versuchen (oder eben die Fragen selbst korrigieren)? Vielleicht könnte das auch helfen, die Diskussion um Sprache-Welt zu fokussieren und ev. auch für andere zu öffnen.

LG in die Schweiz

Ihr
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Re: Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon Samuel Blaser » 20. Juli 2011, 00:45

Die Fragen versuchen mittels Sprache über diese hinaus zu gehen, was halt nicht geht. Aber es gibt trotzdem etwas, das die Sprache vernimmt und nicht selbst nur Sprache ist (wäre ja ein Zirkelschluss sonst): d/mich.
Somit liesse sich ein gewaschener Solipsismus gut mit Mitterer verbinden.

Ich wäre dabei, doch wer will das schon...;)

Viele Grüsse

Samuel Blaser
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Re: Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon sw23 » 21. Juli 2011, 13:53

Lieber Herr Blaser,

na das wird ja wieder ein Zwiegespräch zwischen uns - diesmal mit dem Unterschied, dass wir uns nicht mailen, sondern das schön 'netzöffentlich' dokumentiert ist. Die dualisierenden und realistischen Philosophen sind wohl alle auf Urlaub, scheuen die Registrierung oder haben einfach nichts zu diskutieren. Also diskutieren wir, bis es uns nicht mehr freut ;-).

Zu den beiden Problemen, die Sie angesprochen haben (der Nicht-Objektivierbarkeit einer Empfindung wie Schmerz und der Frage nach dem 'Ich' als 'Instanz') eine Geschichte:

Meine kleine Tochter ist zwölf Monate alt. Heute vormittag besuchte ich mit ihr eine innen recht dunkle neugotische Kirche, in der nur die Glasmalereien auf den Fenstern bunt leuchten. Mit offenem Mund, wie gebannt, starrte meine kleine Tochter auf die Fensterreihe. Das sind die Momente, in denen mir die dualistische Intuition/Evidenz/wie auch immer sagt: Da muss etwas sein - etwas Sprachverschiedenes, also etwas von meinen Beschreibungen Verschiedenes, das auch meine Tochter sieht (deren Lautrepertoire im Moment noch Blasen mit dem Mund, Lallen mit der Zunge u. Ä. ist) und von dem sie fasziniert ist. Also das "kaleidoskopartige Fließen", die "Welt in ihren Formen und Farben", wie es Whorf sagt (und Mitterer kritisiert). Das ist das Jenseits der Sprache!

Im nächsten Moment meldet sich der am Dualismus Zweifelnde, also der Nondualist in mir: Was ist gerade passiert? - Ich sehe bunt leuchtende Rosettenfenster und beobachte dann, wie meine Tochter gebannt darauf starrt. Daraus schließe ich - wieder in meinen Gedanken: Mein Baby ist von diesen Fenstern ganz fasziniert. Der Dualismus kommt nun in die Welt, wenn ich etwa behaupte: "Dass mein Baby wie gebannt auf diese Fenster starrt, liegt daran, dass auch es etwas wahrnimmt, obwohl es noch nicht die menschliche Sprache spricht, nämlich das leuchtende Bunt der Rosettenfenster. Meine sprachliche Beschreibung kommt, um mit Siegfried J. Schmidt zu sprechen, danach, nach dem Ereignis, in diesem Falle nach dem Anstarren des Fensters durch mein Baby, sie ist eine Setzung, die zur Voraussetzung eine Beobachtung einer Handlung bzw. eine Handlung hat." Der Dualismus manifestiert sich auch in Gedanken wie: "Ich denke jetzt gerade in Sprache über mein Baby nach, aber davon völlig unabhängig und prioritär war/ist die Wahrnehmung meines Babies." Es wird also immer getrennt: die Welt (der Wahrnehmungsgegenstände und Wahrnehmungen) und das Wissen über die Welt ("neugotische Rosettenfenster", Beschreibungen wie "Mein Baby sieht..." usw.).

Diesen Dualismus attackiert nun Mitterer im "Jenseits der Philosophie", indem er darauf hinweist, dass ich all die oben angeführten Unterscheidungen wiederum nur im Rahmen von (weiteren) Beschreibungen machen kann (die in diesem Fall etwa bereits die /Rosettenfenster/, das /Baby/ u. a. als Basiskonsense zur Voraussetzung haben). Ich beschreibe etwa mein Baby weiter; oder ich beschreibe mein Denken weiter und die Wahrnehmung meines Babies usw. Ich kann aber in jedem Fall die Unterscheidung zwischen der Welt mit ihren Objekten und meinem Denken der Welt oder dem Denken des Babies immer erst in meinem Denken und nach einem Denkinhalt von mir machen.

Das müsste die Physiker interessieren, und wir könnten daraus auch ein neues, radikaleres linguistisches Relativitätsprinzip stricken: Was der Fall ist (physikalisch, chemisch,...), ist das bereits Beschriebene, und die Trennung von physikalischem Ereignis und physikalischem Ereignis der Beschreibung des physikalischen Ereignisses ist immer erst nach der Beschreibung möglich.

Folgt daraus, wie Sie es andeuten, der Solipsismus (hier im Sinne von: die Welt ist meine Beschreibung)? Nein, würde Mitterer antworten. Der Solipsismus ist, wie er mir einmal in einer Tonbandaufzeichnung gesagt hat, ein typisches Problem des Dualismus. Im Nondualismus folgt aus dem oben Skizzierten nämlich etwas ganz anderes, viel Teuflischeres: Auch "ich" oder "Du", Dein Bewusstsein, Deine Gedanken, mein Bewusstsein, meine Gedanken usw. sind im Nondualismus nichts anderes als Objekte für Beschreibungen, also Beschreibungen so far. Ich denke, da würden Sie widersprechen, oder?

Was passiert, wenn ein Mensch die Sprache lernt? Beginnen dann im Nondualismus Beschreibungen zu beschreiben? Das wäre erneut eine dualistische Verkürzung. Aber spätestens hier sind wir ein Fall fürs Zenkloster.

Mein Fazit nach jahrelangem intensiven Nachdenken ist: Intuitiv spricht vieles, wenn nicht alles für den Dualismus. Aber der Nondualismus ist so geschickt gestrickt, dass er nicht so leicht widerlegbar ist.

LG
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Re: Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon fofner » 21. Juli 2011, 18:37

Lieber Herr Weber, lieber Herr Blaser,

die Diskussion von Ihnen beiden zeigt mir, dass Sie sich in einer Sackgasse befinden.
Die Gegenüberstellung von Sprachverschiedenem und Beschreibung führt zu einer
Blockierung; sie ist unfruchtbar. Es wird dabei auch etwas Statisches (das Sprachverschiedene)
und Aktives (die Beschreibung) gegenübergestellt. Wie soll man von dem einen zum
Anderen kommen? Früher hat man sich mit dem immateriellen Geist beholfen. Andererseits
anerkenne ich das Bedürfnis, aus dem Monismus der Sprache herauszukommen, da
alles bedeutungslos wird, wenn man lediglich im Meer der Sprache schwimmt und kein
Land sieht: jede Schwimmbewegung wird da sinnlos.

Mein Vorschlag ist daher, den Ausgangspunkt zu ändern: von erfahrungsproduzierendem Handeln
auszugehen und Sprechen als initiiertes, aber nicht ausgeführtes Handeln aufzufassen. Damit hat
man eine Differenz, nämlich Sprechen und Handeln, aber diese Differenz ist nicht dualistisch, da
beides aus dem gleichen Holz geschnizt ist. Und weiter: Handeln produziert Erfahrung und setzt an
bereits gemachter Erfahrung an (man kann dabei sogar zu einer Art Realitätsbegriff kommen),
wobei sich allerdings zeigen kann, dass zu einem späteren Zeitpunkt frühere Erfahrungsstrukturen
radikal umstrukturiert werden müssen. Ich führe das jetzt nicht näher aus, ich weise nur darauf hin,
dass ich mich dabei auf George Herbert Mead stütze (was Sie, Herr Weber, ja ohnehin wissen).

Grüße, Ofner
fofner
 
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Re: Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon sw23 » 21. Juli 2011, 19:28

Lieber Herr Ofner,

sorry, wenn ich immer so schnell antworte ;-), aber die Sache reizt mich einfach...

Das Problem, das ich mit einem handlungsorientierten Ansatz habe, ist leider ähnlich wie jenes mit einem beschreibungsorientierten Ansatz: Wo/wann/wie setzen wir den 'Startpunkt' an, und wer/was sind Handlungsinstanzen?

Unser gegenwärtiges naturwissenschaftliches Weltbild vorausgesetzt, stellen sich m. E. folgende Fragen (bitte verzeihen Sie, wenn sie etwas trivial klingen, aber dafür haben wir ja dieses Forum, dass wir frei experimentieren können):

- Beginnen Handlungen (da wohl im soziologischen Sinne verstanden) erst mit dem Menschen im sozialen Kontext, oder schon mit dem Affen, gar schon mit Dinosauriern, am Ende mit Bakterien (sie fressen, haben mitunter primitiven Sex - 'handeln' also eigentlich auch)?

- Wer/was ist also aller Agens, kann Instanz von Handlungen sein? Handeln auch Pflanzen (fleischfressende wahrscheinlich schon...)? Aber kann man sagen, dass ein Baum "handelt", wenn er blüht? Das klingt irgendwie komisch.

Das Problem mit dem Handlungsbegriff, das ich habe, ist also das der Abgrenzung. Und "alles" kann ja nicht Handlung sein, oder handelt auch ein Neutrino?

Siegfried J. Schmidt hat jüngst nicht unähnlich vorgeschlagen, auf Handlungs- und Prozessorientierung umzustellen und von der Objektorientierung ganz wegzukommen. Ich persönlich könnte mit "Prozessen" oder "Operationen" besser theoretisieren, weil diese Begriffe nicht unbedingt auf Lebewesen als Handlungsinstanzen hinweisen. Aber vielleicht verstehe ich den Handlungsbegriff völlig falsch und habe in meiner Studienzeit einfach zu viel Luhmann et al. gelesen.

Übrigens, so statisch ist die 'sprachverschiedene' (übrigens ein fast ausnahmslos von Mitterer geprägter Terminus!) Wirklichkeit des Dualisten nun auch wieder nicht: Denn wenn er Dinosaurier beschreibt, gesteht er durchaus, dass es die heute nicht mehr gibt, andernfalls er für verrückt erklärt werden würde. Der "Bezug" des Dualisten findet also auch bei diesem durchaus auf eine dynamische 'Wirklichkeit im Fluss' statt. Insofern stimmt Mitterers Unterstellung schlichtweg nicht, dass für den Dualisten die Welt immer schon so war, wie er sie dann im besten Fall, dem Wahrheitsfall, beschreibt.

LG
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Re: Ist an Josef Mitterers grundlegender Idee etwas dran?

Beitragvon fofner » 21. Juli 2011, 22:45

Lieber Herr Weber,

ich muss mir erst überlegen, ob, und falls ja, wie ich antworte. Denn erstens bin
ich gerade dabei, genau zu diesem Thema ein Buch zu schreiben und da sollte
ich wohl nicht in diesem Forum einen Vorabdruck machen, und zweitens ist das
auch eine Frage der Zeit, die mir dann beim Schreiben des Buchs abgeht. Soviel
kann ich aber sagen: Der Ansatzpunkt des Handlungsbegriffs liegt ganz woanders,
als Sie in Ihrer Antwort vermuten: Er ist in gewisser Weise pragmatistisch-cartesianisch.

Viele Grüße, Ofner
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